Zwei weitere Stonemen

Als Uwe vor einiger Zeit versuchte mich für eine Teilnahme am Stoneman Miriquidi Road zu begeistern, lehnte ich dankend ab – rund 300 Kilometer Strecke mit mehr als 5000 Höhenmetern an nur einem Tag zu absolvieren, kam mir in meinem Trainingszustand geradezu absurd vor. Ebenso mag es wohl Uwe ergangen sein, der aus diesem Grund die Durchführung an nur einem Tag auch nie in Betracht gezogen hatte – dieses Missverständnis klärte sich erst während eines weiteren Überzeugungsversuches.

Nach meiner Zusage mussten wir uns nur noch auf einen passenden Zeitpunkt einigen, was durch meine Rolle als Student eigentlich kein Problem sein sollte. Doch dann kam die Corona-Pandemie und mit ihr der Lockdown, welcher uns zwang, unsere – zugegebenermaßen noch sehr vagen – Pläne aufs Eis zu legen. Als sich die Situation im Laufe der Zeit wieder etwas normalisierte, gaben uns Antje und ihr spannender Erfahrungsbericht den Impuls, die Planung des Projektes wieder aufzunehmen.

Da die Ländergrenzen aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen waren hatten die Stoneman-Organisatoren die Strecke, welche sonst über die deutsch-tschechische Grenze führt, leicht abgeändert. Das sächsische Marienberg, welches sich ungefähr in der Mitte des Streckenverkaufes befindet, erwies sich dabei als idealer Startpunkt, um die beiden Hälften an zwei Tagen in Angriff zu nehmen.

Am noch kühlen Morgen des 7. Augustes wurden wir schließlich von Christine auf das 185 Kilometer lange Teilstück verabschiedet. Mit kraftvollen Tritten glitten wir in hohem Tempo im Angesicht der aufgehenden Sonne über den kalten Asphalt – bis zur ersten Ampel, etwa 10 Meter vom Startpunkt am Hotel entfernt. Irgendwie hatte ich mir den Start heroischer vorgestellt.

Nachdem wir die Kleinstadt aber hinter uns gelassen hatten, kamen wir in einen angenehmen Flow. Dieser sollte im weiteren Verlauf der Fahrt nicht nur anhalten, sondern sich durch Uwes sprudelnde Begeisterung für die Sprachbedienungsfunktion seiner neuen GoPro-Kamera und deren mantraartigen Nutzung in eine Art rituellen Trance verstärken. Gefangen in diesem Zustand wäre ich auch fast derjenige gewesen, der die Abzweigung zum ersten Stempelpunkt, der Saigerhütte Olbernhau, als Artefakt in der Streckenführung abgetan hätte.

Saigerhütte Olbernhau

Sensibilisiert durch diesen Beinahe-Fauxpas, ging es durch wunderschöne Landschaften weiter in Richtung in Richtung Schwartenberg und Holzhau. In der Zwischenzeit war die Morgenkühle schon fast gänzlich der Hitze gewichen, was die durchaus knackigen Anstiege nicht einfacher machte. Dabei kam es zu einer für mich denkwürdigen Anekdote: Während ich mit geöffnetem Trikot und im Wiegetritt die Radindustrie für das Aussterben der Dreifachkurbeln verfluchte, stellte Uwe – nicht ohne Zufriedenheit – auf der Hälfte des Anstieges fest, dass er während der anhaltenden Gespräche mit seiner GoPro ganz vergessen hatte, auf das kleine Kettenblatt zu wechseln. Kleiner Spoiler: Es sollte nicht das einzige Mal sein, dass ihm so etwas während des Stoneman geschieht, mir ist es trotz großer Hoffnungen aus unerfindlichen Gründen nie passiert.  

Schon auf der Höhe von Zinnwald wurde die Fahrt überraschend zäh, sodass wir eine Cola-Pause einlegten. Geschuldet durch die unablässig niederscheinende Hitze der Sonne, hangelten wir uns für den Rest der Runde nicht entlang der Stempelpunkte (welche wir natürlich trotzdem alle mitnahmen), sondern vor allem der Cola-anbietenden Biergärten und Restaurants. So ging es weiter über Bärenfels und Blockhausen in die einbrechende Dämmerung, bis wir den letzten Checkpoint für diesen Streckenabschnitt, Niederlauterstein, erreichten. Der Stempelpunkt versteckte sich dabei hinter einem Schilderwald, sodass wir ihn fast übersehen hätten.

Sonnenuntergang

Obwohl es nun nur noch eine Handvoll Kilometer bis zu Unterkunft waren, zogen sich diese für mein Empfinden extrem lang, auch, weil es zum Ende hin beständig leicht bergauf ging. Als wir in der Dunkelheit schließlich an unserer Unterkunft ankamen, wich die Freude über die absolvierte Runde schnell der Ernüchterung, dass es in den wenigen Stunden einer viel zu kurzen Nacht wieder von vorne losgeht.

Am Morgen des nächsten Tages ging es ebenso früh los, wie am Tag zuvor. Der Einstieg in das zweite Teilstück war entgegen aller Befürchtungen weniger unangenehm als erwartet, nur am niedrigen Puls merkte ich, dass mir der gestrige Tag noch tief in den Knochen steckte. Letzteres machte sich vor allem mental bemerkbar: Vor mir lagen nicht nur 138 Kilometer mit unzähligen Höhenmetern, sondern 138 Kilometer mit unzähligen Höhenmetern und einer noch weniger greifbaren Anzahl an GoPro-Aufnahmen durch Sprachbefehle.

Ausnahmnsweise mal eine GoPro-Aufnahme ohne Sprachbefehl!

Wieder im Mantra gefangen, ging es zur ersten Kontrollstelle des Tages, welche sich an den Greifensteinen befand. Nach einer längeren Wasserpause und einem Plausch mit einer Forster Radsporttruppe an dem denkbar unspektakulären Naturspektakel, war der nächste Checkpoint auf der Strecke Rittersgrün, wobei dieser Ort den Beginn zahlreicher Cola-Pausen dieses Tages markiert. Er ist außerdem, im größeren Rahmen betrachtet, der Anfang des Anstieges zum Fichtelberg, des höchsten Berges auf dieser Tour.

Obwohl sich dieser Anstieg ziemlich langzieht, ist er inmitten wunderbarer Natur mit mäßigen Steigungsraten gut zu fahren und ist, so dachte ich jedenfalls, das symbolische Ende der Kletterei. Doch vollkommen unerwartet ist der vorletzte Stempelpunkt der Runde, der Bärenstein, die anspruchsvollste und anstrengendste Rampe des gesamten Stoneman. Wie gerufen kommt da der Bierwagen auf der Spitze des Gipfels, welcher die beste Cola des Tages ausschenkt.

Bei Sonnenuntergang erreichen wir die Drei-Brüder-Höhe, den letzten Checkpoint der Tour, wo uns Christine mit gezücktem Handy auf dem Mountainbike erwartet. Gemeinsam rollen wir zurück nach Marienberg und ich habe das Gefühl, niemals wieder auf einem Rennradsattel sitzen zu wollen.

Der letzte Stempel

Trotzdem ist uns beiden klar, dass der nächste, fast zwangsläufige, Schritt der Stoneman Miriquidi Road an nur einem Tag ist. Unterstützend ist dabei die subliminal wirkende Beigabe einer Verlängerungsschraube für die Stoneman-Trophäe, sodass über dem silbernen Stein Platz für einen weiteren wäre. Und warum auch nicht? Es gibt neben den sehr vielen schönen und positiven Erfahrungen nahezu nichts Negatives, was ich dagegensetzen könnte. Nur noch sehr selten wache ich nachts schweißgebadet auf, weil ich im Traum vergeblich versuche, meine GoPro per Sprachbefehl zu starten – es wird wieder Zeit für eine Konfrontation mit dem Trauma.